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Die Stimme ist mein zweites Herz – über Sinn und Freude des gemeinschaftlichen Singens

Die Sängerin und Musiktherapeutin Ulrike Wanetschek leitet den Mitarbeitenden-Chor am Gasteig HP8. Warum jeder Mensch singen kann und das gemeinsame Musizieren so glücklich macht, erzählt sie direkt nach einer Chorprobe.

Mehrere Frauen, die vom Blatt singen.
Copyright: Benedikt Feiten/Gasteig

Singen macht glücklich

… wirkt lebensverlängernd und stärkt die Abwehrkräfte. Die Liste der wissenschaftlich erwiesenen positiven Auswirkungen, die es auf Körper und Psyche hat, ist beeindruckend lang. „Vom gesundheitlichen Aspekt her betrachtet gibt es nicht viele Dinge, die so simpel durchzuführen sind und so gut tun wie Singen“, sagt die diplomierte Opernsängerin und Musiktherapeutin Ulrike Wanetschek.

 

Neben der Arbeit in ihrer Praxis und im Palliativbereich gibt sie Gesangsunterricht und leitet verschiedene Chöre, u. a. den Mitarbeitenden-Chor des Gasteig. Gerade das gemeinsame Singen zeigt in ihren Augen eine besondere Wirkung. Schon nach dreißig Minuten produziert unser Gehirn Oxytocin, das sogenannte Bindungshormon. Dieses lässt uns eine innige Beziehung zu den Mitmusiker*innen aufbauen. „Chorsingen schafft Gemeinschaft. Wir stehen eng aneinander und klingen miteinander. Es entstehen Resonanzen und Schwingungen, denen wir uns nicht verwehren können“, so die Therapeutin.

„Die Freude am Singen fördert den Zusammenhalt, es ist eine schöne Gruppenerfahrung. Gerade im Moment habe ich das Gefühl, ich bin ein bisschen größer!“

Perrine Johnson, Gasteig-Besucher*innen-Service

Wanetschek studierte zunächst Konzert- und Operngesang an der Musikhochschule München. Nach ein paar Jahren mit Engagements an großen Bühnen und einem unsteten Leben aus dem Koffer entschied sie sich für eine therapeutische Zusatzausbildung. Als Gesangslehrerin hatte sie nebenher immer schon gearbeitet. „Irgendwann habe ich gemerkt, dass die meisten Menschen, die zu mir kommen, mehr brauchen als Gesangsunterricht“, so Wanetschek. Persönlichkeitsarbeit sei ein großer Teil ihrer Tätigkeit: „Die Stimme ist das persönlichste Instrument, das wir haben“, sagt die Musiktherapeutin. Sie ist davon überzeugt, dass jeder Mensch singen kann. Manche täten sich nur schwer damit, das Gehörte auf die Stimme zu übertragen. Das könne man aber üben, meint sie: „Nicht jede*r kann Solist*in werden, aber jede*r kann in einem Chor singen.“

 

Eine Frau dirigiert mit erhobener Hand und singt dabei, man sieht die Hinterköpfe der Menschen vor ihr.
Ulrike Wanetscheks Chorproben sind eine ganzheitliche Erfahrung und machen Spaß. Copyright: Benedikt Feiten/Gasteig
Eine Frau mit erhobener Hand.
Copyright: Benedikt Feiten/Gasteig

Was Ulrike Wanetschek an der Chorarbeit besonders spannend findet, ist die Veränderung im Gruppenprozess, die während einer Probe stattfindet. Egal ob die Leute wie beim Gasteig-Chor aus unterschiedlichen Arbeitskontexten zum Singen kommen oder zur Musikgymnastik in die Geriatrie: „Nach der Stunde spüre ich, dass da eine andere Energie ist.“

Singen als Sprachrohr der Seele

Wichtiger als ein perfektes Musikstück auf die Bühne zu bringen, ist der Sängerin die Möglichkeit, therapeutisch mit Musik zu arbeiten. Am meisten freut es sie, wenn Menschen durch das Singen anfangen, sich zu spüren und ihre Stimme finden. In ihrer Praxis arbeitet die Münchnerin mit den unterschiedlichsten Patient*innen. Wenn die Worte fehlen, um den eigenen Gemütszustand zu beschreiben, kann in der Musiktherapie die Improvisation weiterhelfen. „Die Musik kann Worte ersetzen oder etwas hörbar machen, was so nicht formuliert werden konnte. Das ermöglicht, danach darüber zu sprechen“, so Wanetschek.

 

Durch Musik in Kommunikation treten zu können, ohne Fähigkeiten besitzen zu müssen, schätzt sie sehr. Und in Gemeinschaft ist das noch schöner: „Beim Einstudieren eines mehrstimmigen Liedes im Chor entsteht plötzlich eine Atmosphäre, die nur Musik schaffen kann – auf einmal geht der Körper auf“, sagt die Chorleiterin. Sie leitet auch einen Schlaganfall-Patient*innen-Chor, die „Aphasingers“, die teilweise nicht sprechen können, aber dennoch singen. „Über die Stimme in eine gemeinsame Resonanz gehen zu können, ist etwas ganz Besonderes.“ Für Wanetschek ist die Stimme das emotionale Zentrum des Körpers.

„Meine Stimme ist mein zweites Herz. Der Anteil, der auch geben kann – wenn man beispielsweise für andere singt.“

Chorleiterin und Musiktherapeutin Ulrike Wanetschek
Man sieht eine Gruppe von Menschen, die singen. Vor Ihnen steht eine Frau und dirigiert.
Eine Portion Glücksgefühl: der Gasteig-Chor bei der Probe Copyright: Benedikt Feiten/Gasteig

Einfach ausprobieren

Wer Lust hat, die vitalisierende Kraft des gemeinsamen Chor-Erlebnisses selbst zu testen, ist herzlich eingeladen, zusammen mit dem Gasteig-Chor am 12.12. in der Halle E im Gasteig HP8 Weihnachtslieder zu singen. Bei der Aktion Der Gasteig singt – sing mit! wird Chorleiterin Ulrike Wanetschek bekannte und unbekannte Weihnachtsklassiker und Adventslieder einstudieren. Egal ob jung oder alt, Laie oder Chorprofi – alle können vorbeikommen und mitmachen. „Es ist eine tolle Möglichkeit, auf einem Niveau, bei dem jede*r mitmachen kann, Gemeinschaft und Stimmung zu erleben“, sagt sie. Weihnachten ist wahrscheinlich das einzige Fest, bei dem viele noch zu Hause gemeinsam musizieren und singen. An diese Tradition will der Gasteig anknüpfen: „Die Musik ist der emotionale Träger und weckt Erinnerungen. Man rutscht in eine besondere Stimmung, wie in eine Parallelwelt“, verspricht Wanetschek.

Vorbeikommen und einstimmen!

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