Als das Artemis Schauspielstudio vom Gasteig eingeladen wurde, ein „Stück aus der Nachbarschaft“ für die Halle E zu inszenieren, stand für den Künstlerischen Leiter Paul Brusa schnell fest: „Der Tempelherr“ ist für diesen Ort wie geschaffen. Der Regisseur wird hier im September 2023 das Stück des österreichischen Schriftstellers Ferdinand Schmalz inszenieren, das seit seiner Uraufführung im Deutschen Theater Berlin (2019) nur selten auf den deutschen Theaterbühnen gespielt wurde. Der ehemaligen Trafohalle kommt mit ihren offenen Galerien und der denkmalgeschützten Bausubstanz dabei eine zentrale Rolle zu.
Auch bei der Artemis-Schauspiel-Crew setzt der lebendige Raum viel Energie frei. „Es ist ziemlich cool, die extremen Höhen hier in der Halle E auszunutzen. Im Theater gibt es selten die Gelegenheit, über Geländer zu spielen und gleichzeitig ein Zentrum des Geschehens zu haben“, sagt Richard Dormann, der in einer Marketingagentur arbeitet und sich bei Artemis berufsbegleitend zum Schauspieler ausbilden lässt. Er spielt im Stück den Protagonisten Heinar.
Handlung spielt kreativ mit der Halle E
„Der Tempelherr“ erzählt die Geschichte von Heinar, der mit seiner schwangeren Frau Petra aufs Land zieht, um dort ein Haus zu bauen. Er verfolgt sein Bauvorhaben beharrlich, stößt dadurch aber bei vielen Menschen auf harsche Kritik. Schließlich hört Heinar auf zu sprechen, das Eigenheim bleibt ein Gerüst, er baut jedoch besessen weiter: Im eigenen Garten errichtet der Protagonist einen griechischen Tempel neben dem anderen und stellt durch sein Tun die Gepflogenheiten der vermeintlich „ländlichen Idylle“ offensichtlich infrage. Die Thematik des Stückes könne den Nerv der Gesellschaft, gerade in einer Metropole wie München, nicht besser treffen, findet Brusa.
Zaungäste sind willkommen
An drei Abenden wird das gesellschaftliche „Erbauungsstück“, so der vom Autor Ferdinand Schmalz hinzugefügte Untertitel, von Nachbar*innen des Gasteig HP8 neu „erschaffen“. Jeweils 120 Zuschauer*innen pro Vorstellung werden im Foyer im Erdgeschoss platziert. Während der Aufführungen, die zu Sonnenuntergang um 20 Uhr beginnen, läuft der reguläre Bibliotheksbetrieb im HP8 weiter. In der Inszenierung von Paul Brusa gehören neugierige Städter*innen zur Theaterkulisse und sind als „Zaungäste“ bereits mitgedacht.
Kreativ und flexibel entstehen im Foyer neue Räume: Für die Tempelbauten in der Halle E spannt Protagonist Heinar weißes Kreppband kreuz und quer. Denn Brusa wollte kein festes Bühnenbild in die Halle integrieren, sondern den Raum selbst wirken lassen. Wie Hauptdarsteller Richard Dormann haben auch die anderen fünf Schauspieler*innen begleitend zu ihrem Beruf eine Schauspielausbildung bei Artemis absolviert oder stecken noch in den letzten Zügen. So schöpfen Rechtsanwältin, Redakteur*in oder Maschinenbauingenieur aus den beruflichen Erfahrungen wie aus einem Fundus fürs Theaterspiel. Für den Gasteig bringt Brusa zum ersten Mal Schauspieler*innen verschiedener Artemis-Jahrgänge zusammen.
Ensemble als Schicksalsgemeinschaft
Die Offenheit der Halle E stellt für das kleine Ensemble eine Herausforderung dar, der sie „als Schicksalsgemeinschaft jetzt erst recht“ begegnen. Über mehrere Stockwerke den Kontakt zueinander zu halten, erfordert konzentrierte Energie, zumal im „Tempelherr“ viel über Blicke und Sprache passiert. „Es ist ein bisschen so, als würde man antike Griechen mit Elfriede Jelinek in einen Mixer packen“, beschreibt Brusa den Sprachstil des Stücks. Was die Musik-Auswahl angeht, hat er sich von der Isarphilharmonie inspirieren lassen. Neben Einspielungen von Moby wird auch Max Richters Bearbeitung von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ als Bau-Sound erklingen.
„Der Tempelherr“ feiert Premiere im Gasteig HP8
Am 19., 25. und 26. 9. setzt das Artemis Schauspielstudio die Halle E in Szene.Text: Maria Zimmerer