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Das Kulturherz Münchens

Er soll den Gasteig architektonisch in die Zukunft führen: Gunter Henn, Architekt und Geschäftsführer der international tätigen Henn GmbH, plant gemeinsam mit seinem Architekten-Team den Neuen Gasteig. Im Gespräch verrät er, wie er den ikonischen Kulturraum Gasteig offener, demokratischer und kommunikativer gestalten will.

Das Team von Henn Architekten gruppiert um das Modell vom Neuen Gasteig.
Teamwork: Projektleiter Fredrik Werner, Stefan Sinning, verantwortlicher Partner, Gunter Henn und Projektleiter Joachim Grund (v.l.n.r.) im Gespräch Copyright: Benedikt Feiten / Gasteig

Was bedeutet der Gasteig für Sie als Architekt?
Als größtes Kulturzentrum Europas und ikonischer Ort für die Münchner Bevölkerung ist der Gasteig ein einzigartiges Gebäude und ein besonderes Projekt für unser Büro. Im Kontext seiner  ursprünglichen Planung in den 1960er und 70er Jahren lag die Besonderheit des Gasteig darin, dass so viele unterschiedliche Funktionen zusammenkamen.

 

Mit dem Gasteig schuf man damals eine Kulturbastion, einen Schutzraum für die Kultur. Mit einer ungleichen Aufmerksamkeit bis ins kleinste Detail wurde eine bemerkenswerte Arbeitsdichte kreiert, in der jedes Element eine präzise Funktion erfüllte; nichts war zufällig. Das ist wirklich beeindruckend. Für uns Architektinnen und Architekten ist es einzigartig, uns mit einem solch ausdifferenzierten Gebäude und Programm zu beschäftigen und diesen stadthistorischen Ort der Kultur und der Kommunikation für die Zukunft neu zu denken.

 

Was war die zentrale Idee Ihres Entwurfes?
Zwei Schlüsselkonzepte liegen unserem Entwurf zugrunde: Öffnung und Kommunikation. Im neuen Gasteig geht es nicht nur darum, einzelne punktuelle Kommunikationsstellen im Inneren zu stärken, sondern auch eine Verbindung zum Außen, zum öffentlichen Raum, zu schaffen. Durch die transparente „Kulturbrücke“ öffnet sich das Kulturzentrum zur Stadt hin, jede Besucherin und jeder Besucher ist sowohl Gast als auch Mitgestalter*in an diesem vielseitigen Begegnungsort. Auch im Inneren werden die Grenzen zwischen den einzelnen Funktionen aufgelöst und miteinander erschlossen.

 

In der heutigen Zeit ist der Schutz nicht die Mauer, sondern die Offenheit und die Kommunikation. Wie schafft man Permeabilität und verbindet die lebendige Vielfalt im Inneren mit dem urbanen Äußeren? Das äußere Erscheinungsbild soll sich nicht zu stark ändern, das, was jeder vom historischen Gasteig in Erinnerung hat, bleibt. Wir haben nicht nur ein Sanierungsprojekt; es braucht diese Strukturänderung, um ein Kulturzentrum der Zukunft sein zu können.

Nahaufnahme von einem architektonischen Modell vom Neuen Gasteig
Zukunftsvision: Ein Modell des Neuen Gasteig Copyright: Benedikt Feiten / Gasteig
Architekt Gunter Henn betrachtet Modellteile
Gunter Henn Copyright: Benedikt Feiten / Gasteig

Wie planen Sie die Räume für die einzelnen Institute des Gasteig in diesem Zusammenhang?
Für die neue Bibliothek haben wir uns nach innovativen Vorbildern aus Holland und Finnland gerichtet. Nach Bibliotheken, die aufgeladene Orte der Bildung und der Unterhaltung, aber auch des Verweilens und des Austauschs sind. Offen ausgelegte Bücher und atmosphärische Lesebereiche, die zum Lesen animieren, fließende Übergänge zwischen Innen- und Außenraum – es findet eine wahrhafte Renaissance der Bibliotheken statt.

 

Auch die Volkshochschule wird geöffnet und leicht zugänglich sein, und die Terrasse ist von außen betretbar. Ob von innen oder außen, jede und jeder kann mit dem Gebäude interagieren und über den Gasteig einen Bezug zur Stadt bekommen. Die Philharmonie soll festlich und flexibel gestaltet werden; für Aufführungen der Münchner Philharmoniker und Pop-Konzerte. Die Philharmonie so zu verändern, dass sie ein völlig neues Erscheinungsbild bekommt, hielten wir nicht für angemessen. Es wäre erstens viel zu teuer gewesen und hätte zweitens den Bezug zur Geschichte des Ortes als ein Stück populärer München-Tradition vernachlässigt. Wir wollen, dass man das Alte und das Neue sieht. Eine Symbiose mit der ursprünglichen Architektur ist uns besonders wichtig. Wesentlich für das Grundkonzept sind auch die sogenannten Performance-Treppen, auf denen Veranstaltungen und Aufführungen stattfinden können. Auch mit diesen zentralen und frei zugänglichen Elementen werden Orte geschaffen, wo Kommunikation und Interaktion entstehen können.

„Der sanierte Gasteig soll für Offenheit, Kommunikation und Zugänglichkeit stehen. Aber auch für eine neue internationale Wahrnehmung und Anerkennung dieses ikonischen Kulturortes Münchens.“

Wie sind Sie an die im Wettbewerb gestellte Aufgabe herangegangen?
Wir haben das komplizierte und sehr vielfältige Raum- und Funktionsprogramm neugeordnet und zusammengefügt. Die Gleichzeitigkeit der verschiedenen Funktionen ist durch die neue Kulturbrücke erlebbar. Dieses neue Element ist radikal einfach und gibt dem Gasteig eine neue Qualität.

 

Wofür steht der sanierte Gasteig nach seiner Fertigstellung?
Der Gasteig ist heute als kollektiver Ort ein Vorbild, eine real gewordene Utopie. Der sanierte Gasteig soll für Offenheit, Kommunikation und Zugänglichkeit stehen. Aber auch für eine neue internationale Wahrnehmung und Anerkennung dieses ikonischen Kulturortes Münchens. Das Ziel ist sowohl, dass Besucherinnen und Besucher extra für den Gasteig nach München reisen, als auch, dass sie grundlos dahin gehen; um dort zu verweilen, sich zu treffen und sich durch die Vielfältigkeit an Aktivitäten und Austauschmöglichkeiten überraschen zu lassen.

 

Außerdem verkörpert der Gasteig die Demokratisierung und Vermittlung der Kultur. Das ist ein zentrales Merkmal des Projekts: Es ist kein exklusiver Ort, alles ist inklusiv gedacht. Eine Philharmonie neben einer Volkshochschule zu haben, das ist etwas ganz Besonderes. Hier sind alle willkommen, und der Gasteig braucht jede und jeden, um dieses pulsierende Kulturherz Münchens zu sein. Kultur ist ein ganz wesentlicher Stabilisierungsfaktor für eine funktionierende Gesellschaft. In diesem Sinne hat der Gasteig einen zentralen gesellschaftlichen Auftrag. Die Ausstrahlung des Ortes ragt zudem über die Stadtgrenzen hinaus und symbolisiert ein europäisches Projekt: Diese Vielfalt und Dichte an kultureller Mischung und Verschränkung der Funktionen in einem öffentlichen Gebäude ist einzigartig. Die Wissenschaftler Armin Nassehi und Alexander Görke sprechen von der „Gleichzeitigkeit des Verschiedenen“, da muss der Gasteig hin!

 

Was ist für Sie das Besondere daran, mit einem namhaften Akustiker wie Yasuhisa Toyota zusammenzuarbeiten?
Diese Kooperation war uns eine große Freude und wir haben in der Zusammenarbeit viel gelernt. Akustik ist ganz einfach, wie Yasuhisa Toyota sagt: es geht in erster Linie nur um „Form und Material“. Die Form für die Philharmonie und für den Carl-Orff-Saal in der Gesamtheit und im Detail wurde in vielen gemeinsamen Arbeitsbesprechungen und in einem fruchtbaren Austausch entwickelt. Aus dem Zusammenspiel von hochtechnischer Akustik und kreativem Entwurf wird die Philharmonie nun selbst zu einem Instrument.

„Ich stelle mir vor, dass Touristen auf die Frage nach dem Anlass ihrer Reise nicht mehr ‚Oktoberfest‘ sagen, sondern ‚Gasteig‘!“

Auf welche sozialen, urbanen und architektonischen Entwicklungen und Bewegungen sind Sie mit Ihrem Entwurf eingegangen?
Städtebaulich sieht der Entwurf eine bewusste Berücksichtigung der Umgebung vor. Mit der Öffnung des Kulturzentrums soll auch eine verstärkte Anschlussfähigkeit ans Wohngebiet erfolgen. Insgesamt ist das Thema des Raumes, der Großzügigkeit des Raumes, zentral. Gerade in einer Stadt wie München, in der es zunehmend schwierig wird, sich Raum zu leisten, ist eine Öffnung fürs Denken, Kommunizieren und Sich Bilden besonders wertvoll.

 

Gibt es beispielhafte architektonische Kulturgebäude weltweit, die zum Gasteig-Entwurf inspiriert haben?
Unser Team hat viele Referenzprojekte als Inspirationsquelle herangezogen. Darunter einige Beispiele aus Skandinavien, wie der Blox in Kopenhagen zum Beispiel. Dieses Gebäude verbindet auch unterschiedliche öffentliche und kulturelle Funktionen; man trifft sich dort mal für einen ganzen Nachmittag, lässt sich treiben und wird vom vielfältigen Angebot unterhalten.

 

Ikonische Vorbilder wie das Centre Pompidou in Paris wurden analysiert, doch auch hier fehlt die wirkliche Verschränkung der unterschiedlichen Funktionen, wie wir es uns heute wünschen. Das Centre Pompidou wurde wie der Gasteig ebenfalls ganz bewusst als Bastion gebaut. Unser Ziel heute ist eine durchgehende Öffnung und Interaktion der existierenden Bereiche; denn auch im internationalen Vergleich ist der Gasteig im Hinblick auf Diversität und Funktionsreichtum ein absolut einzigartiges Projekt.

Vier Personen von Henn Architekten betrachten Modellteile des Neuen Gasteig
Der Neue Gasteig aus dem 3D-Drucker Copyright: Benedikt Feiten / Gasteig

Wenn Sie sich den Gasteig in 10 Jahren vorstellen, welches Bild entsteht vor Ihren Augen?
Da stelle ich mir einen bunten und belebten urbanen Ort vor, eine internationale Referenz in Sachen Kultur- und Kommunikationsraum, und hoffentlich neu dazu gekommene Funktionen, die wir heute noch nicht mal erahnen können und die zeigen werden, dass der Gasteig nicht nur ein Ort der Begegnung, sondern auch der Innovation ist. Ich stelle mir vor, dass Touristen auf die Frage nach dem Anlass ihrer Reise nicht mehr „Oktoberfest“ sagen, sondern „Gasteig“!

Mehr Licht, mehr Luft, mehr offene Flächen

Die zentralen Elemente der Sanierungspläne

Über das Architekturbüro Henn

Henn ist ein international tätiges Architekturbüro in München, Berlin und Peking und kann auf über 70 Jahre Erfahrung in den Bereichen Arbeitswelt und Kultur, Lehre und Forschung sowie Produktion und Masterplanning zurückgreifen. Das Büro wird von Gunter Henn und 22 Partner*innen geführt. 350 Mitarbeitende – Architekt*innen, Designer*innen, Planer*innen und Ingenieur*innen – aus über 38 Nationen greifen hier auf den reichhaltigen Wissensschatz von drei Generationen Bauerfahrung und ein weltweites Netzwerk aus Partner*innen und Expert*innen verschiedener Professionen zurück. Kontinuität trifft bei Henn auf permanenten Fortschritt.

 

Henns architektonisches und planerisches Konzept folgt der Idee, dass Formen und Räume immer aus den Prozessen, Anforderungen und kulturellen Zusammenhängen des jeweiligen Projekts entwickelt werden. „Als Generalplaner sind wir in der Lage,  diesem Leitgedanken in jeder Phase der Projektplanung und -umsetzung gerecht zu werden“, sagt Gunter Henn. „Man muss dem Bau und seiner Geschichte mit Respekt begegnen.“ Gunter Henn gilt als geduldiger Mensch, der gern im Team arbeitet.

 

Der Architekturkritiker Gerhard Matzig schrieb über den 72-Jährigen, er sei „einer der letzten weltweit anerkannten Architekten, die man mit dem herrlich altmodischen Begriff Gentleman beschreiben kann“. Weltweit bekannt wurde er mit einer Reihe von Kultur- und Bildungsbauten sowie mit zukunftsfähigen Arbeitswelten und Bürobauten, darunter The Cube in Dresden, die Hochschule in Wolfsburg und das Max-Planck-Institut in Frankfurt.

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