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Gasteig Sendling: Ein Kaffee auf Reisen

Der Gasteig zieht in eine lebhafte Nachbarschaft: Direkt neben der Baustelle probt das International Munich ArtLab (IMAL), ein vom Kulturreferat gefördertes Projekt, in dem Jugendliche zwei Jahre lang künstlerisch arbeiten. Claudine ist dort für die Choreographie von Akrobatik, Jonglage und Bühnenkampf zuständig. Mit dem Kranfahrer verbindet sie ein kurioses Kaffee-Ritual. Wie es dazu kam?

Claudine winkt den Kranfahrern auf dem HP8-Gelände zu und gibt ein Handzeichen für die nächste Kaffee-Lieferung.
Durch Kaffee verbunden: Claudine serviert täglich frischen Kaffee vom HP8-Gelände nach oben ins Kranführerhaus. Copyright: Benedikt Feiten/Gasteig

So kam es zum Kaffeeklatsch auf Distanz

Claudine vom Theaterprojekt IMAL:
Die zweite Woche im Corona-Lockdown. Wie seltsam es  ist, einsam mit nur einem Kollegen vor der IMAL-Halle zu sitzen. Normalerweise sind 20 junge Künstler hier: laute Musik, reger verbaler Austausch, freudiges Begrüßen mit emotionalen Umarmungen, erwartungsvolle Stimmung auf das Neue von uns Dozenten. Und da saßen wir während einer Pause mit unserem Kaffee vor der Halle und beobachteten die Baustelle, die plötzlich eine beruhigende „Normalität“ in dieser corona-geschwängerten Zeit ausstrahlte. Wie oft waren wir genervt ob des nicht enden wollenden stampfenden Lärms des Presslufthammers, wie oft hatte ich mir lieber ein grollendes Gewitter gewünscht, damit die Halle aufhört zu vibrieren und man sein eigenes Wort wieder versteht! Diese Bohrungen – eine nicht vorstellbare Beeinträchtigung beim Unterrichten. Und jetzt? Jetzt hatte diese Baustelle plötzlich eine angenehme Wirkung, so normal. Sehr komisch! Toll, wie der Kranfahrer zentimetergenau die Stellagen und ewig langen Eisenstäbe manövriert und absetzt. Unglaublich präzise – wie macht er das? Er ist so hoch oben, weit weg von uns.

 

„Schau“, sagte ich zu meinem Kollegen „der sieht uns – komm wir winken mal“.

 

Und tatsächlich, der Kranfahrer winkte uns wohl erfreut zurück! Dann rief er etwas, für uns unverständlich, und ich interpretierte es: „Der möchte auch einen Kaffee! Komm, ich mach ihm einen!“ Und ich deutete, ein bisschen zweifelnd ob er das sieht, den Daumen hoch und verschwand hüpfend in die Halle. „Du spinnst doch“, sagte mein Kollege, „wie soll DAS denn gehen?“

Geht doch! Hier der Video-Beweis:

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Ein Kaffee-Date auf Distanz. So kommt frischer Kaffee zu den Kranfahrern der HP8-Baustelle

„Thank you!“ Claudine erzählt …

Ja – wie eigentlich? Wo hinein den Kaffee? Womit hoch? Wie überhaupt hoch? Lauter Fragen, die es jetzt zu lösen galt. Eine vereinsamte Thermoskanne – ein herumliegender Leinenbeutel. Jetzt fand ich es sogar ausnahmsweise praktisch, dass die Kids diese Sachen nicht aufgeräumt hatten. Und los ging es: Thermosflasche mit Kaffee in den Leinenbeutel und raus und mit der Tasche winken. Mal sehn was dann passiert? Der Kran-Ausleger drehte sich in unsere Richtung, der Wagen mit der langen schweren Kette schob sich vor und dann kam diese, aus riesigen Gliedern bestehende Kette vor mir ganz langsam runter! Wie spannend! Die Leinentasche hakte ich in den riesigen Karabiner.

 

Wieder Daumen hoch und es ging los. Tatsächlich fuhr die Tasche mit dem Kaffee nach oben. Dann kletterte der Kranfahrer heraus, zog die Tasche zu sich, hängte sie aus – und deutete winkend freudig seinen Daumen hoch!

 

„Siehst Du“, nickte ich triumphierend meinem Kollegen zu „geht doch!“
„Du spinnst trotzdem. Niemand auf der ganzen Welt hängt einem Kranfahrer Kaffee an seinen Kran!“
„Ja, die Claudine schon. Wir sind IMAL, da darf man alles ausprobieren und machen!“

Blick nach unten auf die HP8-Baustelle aus der Perspektive der Kranfahrer.
... und wird hoch über der Baustelle des Gasteig HP8 bereits erwartet. Copyright: Benedikt Feiten/Gasteig
Claudine packt eine Thermosflache mit Kaffee in einen Stoffbeutel, der an den Kran gehängt wird.
Frisch gekochter Kaffee geht auf die Reise ... Copyright: Benedikt Feiten/Gasteig

Am nächsten Tag winkten wir wieder hoch und der Kranfahrer ließ uns die leere Thermoskanne herunter: Und es gab frischen Kaffee! Nach drei Wochen kam während unserer Pause vor der Halle ein Mann an den Zaun. „Thank you for sending me coffee!“ Konstantin, wie er sich vorstellte, aus Rumänien, seit 20 Jahren Kranfahrer. Er zeigte uns Bilder auf seinem Handy von seiner Frau, seiner Tochter im Ballett und von seinem Sohn. Als dann nach endlos scheinenden acht Wochen die Kids vereinzelt wieder kommen durften und jeder die Aktion „Kaffee für Konstantin“ mit großer Freude beobachtet hatte, fassten die Schreiber den Entschluss: In unserem nächsten Stück soll ein Kranfahrer Konsti vorkommen und der Arbeitstitel ist: Die Baustelle.

Der Kranfahrer nimmt den Stoffbeutel mit dem ftrischen Kaffee oben im Führerhäuschen entgegen.
Besonderer Lieferservice: Der Kranfahrer nimmt die Kaffee-Fracht im Stoffbeutel entgegen. Copyright: Benedikt Feiten/Gasteig

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