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Rosen haben Dornen

Filmemachen in Kriegszeiten: Die ukrainische Regisseurin Irena Stetsenko ist aus Kyiv in den Westen des Landes geflohen. Im Interview spricht sie über die Maidan-Erfahrung und die therapeutische Wirkung von Kunst. Ihr Dokumentarfilm „Roses. Film-Cabaret” über eine ukrainische Kultband feierte im Mai 2022 Deutschlandpremiere auf dem „Mittel Punkt Europa” Filmfest im Gasteig HP8.

Zwei Performerinnen der ukrainischen Band Dakh Daughters beim Schminken.
Copyright: Roses. Film-Cabaret

Ein Leben zwischen Fliegeralarm und neuem Filmprojekt

Seit Russland die Ukraine angegriffen hat, tobt ein Krieg im Herzen Europas. „Viele Leute außerhalb der Ukraine realisieren nicht, dass der Krieg nicht am 24. Februar 2022 begonnen hat, sondern schon 2014. Jetzt ist die Situation nur komplett eskaliert,” erzählt die Filmemacherin Irena Stetsenko im Zoom-Interview. Sie ist wie viele andere mit ihren beiden Kindern aus ihrer Heimatstadt Kyiv in den Westen des Landes geflüchtet und versucht irgendwie ihren Alltag aufrechtzuerhalten – so gut das in Kriegszeiten eben geht. Zu Beginn des Gesprächs, das ihre Produzentin Oleksandra Kravchenko übersetzt, muss für ein paar Minuten der Ton abgeschaltet werden, da im Hintergrund der Fliegeralarm losheult. Dass in der Ostukraine schon seit acht Jahren Krieg herrscht, erzählt Stetsenkos Dokumentarfilmdebüt „Roses. Film-Cabaret”, das im Mai 2022 auf dem „Mittel Punkt Europa” Filmfest gezeigt wurde.

Regisseurin Irena Stetsenko
Copyright: Serhiy Stefan Stetsenko

Der Film begleitet über fünf Jahre die ukrainische Frauenpunkband Dakh Daughters, die mit ihrer Mischung aus Musik-Cabaret, Performance und politischer Agitation in ihrer Heimat einen Kultstatus genießen. „Roses” ist ein tragikomisches Musical und scheint jetzt so aktuell wie nie zuvor: „Der Film ist wie ein Prequel zu den gegenwärtigen Ereignissen, weil er die Vorgeschichte dazu erzählt, wie auf dem Maidan die ukrainische Nation neu geboren wurde,” sagt Stetsenko. „Diese Erfahrung machte uns widerstandsfähiger für diesen schrecklichen Krieg jetzt.” Zuerst war es die Pandemie und jetzt der Krieg, der den Kinostart von „Roses” verhinderte, berichtet die Filmemacherin. Doch sie und ihre Produzentin lassen sich nicht beirren. „Wir machen weiter und wollen den Film zeigen”, betont Stetsenko.

„Wir sind Friedensstifter*innen, wir sind Mythenbildner*innen, jede unserer Performances ist therapeutisch.”

Irena Stetsenko

Zu jedem Zeitpunkt der Geschichte sei Kultur die Antriebskraft für Veränderung in der Gesellschaft gewesen, erzählt die Filmemacherin. „Kunst gibt die Stärke, den Mut und die Motivation, ein bewusster Bürger zu sein und nicht in der antriebslosen Masse zu verschwinden.” In ihren Songs und Performances kombinieren die Dakh Daughters oftmals Volksweisen und europäische, zeitgenössische Musik und Kulturphänomene. Ihr titelgebender Song „Roses/Donbas” zum Beispiel, der auf den Kulturkonflikt im Donbass anspielt und den sie ein Jahr vor der russischen Invasion schrieben, wurde als eine Art „artistic prophecy” angesehen und in der Ukraine zum Hit.

Eine Akkordenspielerin
Copyright: Roses. Film-Cabaret
Die Dakh Daughters bei einem Auftritt auf der Bühne.
Copyright: Roses. Film-Cabaret

Der Krieg, der jetzt in der Ukraine ausgetragen wird, ist ein europäischer Krieg. „Die Ukraine hat sich bewusst für Demokratie, Frieden und europäische Werte entscheiden, für die wir jetzt kämpfen,” sagt Stetsenko. Obwohl es ein abstraktes Ziel gibt, ist ihr das Konzept von Zukunft abhandengekommen, so die Regisseurin. Ihr Land will sie momentan nicht verlassen. Gerade arbeitet sie an einem neuen Film über einen Musiker. Denn gefilmt wird auch zu Kriegszeiten oder besser – erst recht.

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