Frau May, nach fast 20 Jahren am Goethe-Institut widmen Sie sich jetzt dem Münchner Kulturleben. Hatten Sie das Bedürfnis, noch einmal etwas ganz Neues zu beginnen?
Neuanfänge sind eigentlich schon immer Teil meines Lebens. Nach so vielen Jahren am Goethe-Institut bin ich es gewohnt, mich immer wieder auf neue Situationen einzustellen. Das Goethe-Institut spielt, egal wo man ist, immer eine andere Rolle, hat ein besonderes Alleinstellungsmerkmal, andere Zielgruppen und immer andere Themen. Da wartet eine ganze Bandbreite an Herausforderungen: autokratische Systeme, gesättigte Märkte, Häuser, die man über Jahre umbaut. Privat bedeuten diese Wechsel: umziehen, sich ein neues soziales Umfeld aufbauen und sehen, wie die Kinder mit der Sprache zurechtkommen. Mittlerweile habe ich ganz gute Übung darin, immer wieder neu anzufangen und mich neu einzufinden.
Was ist das Wichtigste, wenn man so oft von vorne beginnt?
Dazu gehört auch ein Reality-Check: Am besten nicht mit einer vorgefertigten Idee oder Vision an den neuen Ort gehen, sondern erst mal verstehen, wie alles tickt. Erst dann kann ich überlegen, wo ich anpacken möchte und welche Themen ich selbst reinbringen will. Der Unterschied ist jetzt beim Wechsel an die MVHS, dass für mich das Team komplett neu ist und dass lokal ganz andere Besonderheiten zu beachten sind. Der eigene Kontext spielt für mich eine große Rolle: München ist die Stadt, aus der ich komme und die ich glaube, gut zu kennen. Hier zu wirken, ist noch mal ein anderes Gefühl. Bei einer Stelle am Goethe-Institut wusste ich üblicherweise schon vorher, dass ich nach vier bis fünf Jahren wieder gehe. Jetzt habe ich die Chance, mich in die Stadtgesellschaft reinzuarbeiten.
„Mit anderen Leuten in Austausch zu kommen, halte ich für eines der wichtigsten demokratischen Prinzipien.“
Sie werden die neue Programmdirektorin. Was finden Sie an der MVHS so spannend?
Mich reizt, dass die MVHS die Gesellschaft in ihrer ganzen Breite bedient und dass man Leute erreichen kann, die man vielleicht gar nicht kennt. Ich bin gespannt darauf, herauszufinden, wie man diesem Auftrag gerecht werden kann. An der Stadt, in der ich lebe, mitzuarbeiten und im besten Fall etwas zu bewirken, finde ich wahnsinnig reizvoll. Und das in einer Zeit, in der offenkundig ist, dass wir einen Punkt erreicht haben, an dem wir selbst aktiv eingreifen müssen, weil sonst autokratische Kräfte nicht mehr eingefangen werden können. Wir sehen das am Wahlergebnis, an Gesellschaftsschichten, die immer weiter auseinanderdriften, und am fehlenden Vertrauen in Institutionen, Medien und Politik. Erwachsenenbildung bedeutet mittlerweile, eine Gemeinschaft zusammenzuhalten, einer Vereinzelung entgegenzutreten und sich dafür einzusetzen, dass Menschen Teilhabe und Wirksamkeit erfahren. All das lieber früher als später – auch für die nachfolgenden Generationen. Das ist eine Verantwortung, vor der ich durchaus Respekt habe. Diese Stelle jetzt anzutreten, macht für mich sehr viel Sinn.
Warum genau?
Mit anderen Leuten in Austausch zu kommen, halte ich für eines der wichtigsten demokratischen Prinzipien. Und da geht es jetzt nicht nur um die wissenschaftliche Vortragsreihe, sondern eben auch um Sportkurse und kulinarische Angebote, was die Leute eben interessiert. Es geht auch um das Gefühl, nicht allein zu sein, und reicht bis zur Arbeit mit Erinnerungsstätten, Diskursreihen oder Netzwerken. Spannend ist auch, in einem sich verhärtenden Diskursklima Veranstaltungen durchzuführen, ohne dass es affirmativ wird. Wie bekommt man es hin, Stimmen zuzulassen und sich nicht als Bühne missbrauchen zu lassen, gerade im Kulturbereich? Da gehört es auch dazu, die Mitarbeitenden und Dozierenden für Diskussionen stark zu machen.
Kultur für alle zu ermöglichen, ist dem Gasteig als Kulturzentrum, zu dem auch die MVHS gehört, sehr wichtig. Was ist Ihnen ein besonderes Anliegen?
Zuerst möchte ich die Häuser und Teams kennenlernen. Und dann: Was verbirgt sich hinter dem dicken MVHS-Katalog, und wer sitzt da in den Kursen? Erreichen wir wirklich alle? Wie kann man einen Generationswechsel einleiten? Zum Thema Integration: Müssen wir mehr Mühe investieren, um Barrieren abzubauen? Community-Building und Angebote im niedrigschwelligen Bereich sind keine Selbstläufer, aber ich denke, hier lohnt sich jede Mühe. Es ist ein großes Privileg, jetzt überall mal reinzuschauen. Um dann irgendwann zu verstehen, wo ich mit neuen Ideen ansetzen könnte.
Angebote der MVHS im Gasteig HP8
Text: Anna Steinbauer