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Immer wieder neu. Barbara Hannigan im Gespräch

Barbara Hannigan bezeichnet sich selbst als „superpositiv“, Herausforderungen begegnet sie mit größtem Vergnügen. Eine besondere Vorliebe hat die aus Kanada stammende Künstlerin für zeitgenössische Musik, vielen neuen Werken verhalf sie zur Uraufführung – als Sängerin, als Dirigentin oder sogar in der Doppelrolle. Im Januar dirigiert und singt sie mit den Münchner Philharmonikern in der Isarphilharmonie.

Porträt von Barbara Hannigan
Copyright: Marco Borggreve

Barbara Hannigan, wann haben Sie zuletzt etwas zum ersten Mal gemacht?
(lacht) Ich hoffe, das ist jetzt nicht langweilig, aber natürlich hat das bei mir mit Musik zu tun. Letzte Woche habe ich eine Weltpremiere gesungen. Meine erste gab ich als 17-Jährige, und seitdem waren es bestimmt Hunderte. Damals wie heute verbinde ich damit ein Gefühl von Aufregung und hoffe natürlich, dass die Leute das Werk genießen. Vor allem möchte ich aber, dass die Komponist*innen glücklich sind, denn es ist eine große Ehre für mich, diese Aufgabe zu erfüllen. Etwas zum allerersten Mal auf der Welt zu machen, und auch der ganze Prozess dahinter, ist sehr besonders. Und es ist interessant, zu sehen, was das jetzt aus mir herausholt im Vergleich zu früher, als ich jünger war und alles komplett neu für mich war.

 

Wie geht es Ihnen denn damit, als Erste etwas zu machen?
Ich denke nicht, dass es mich nervös macht. Ich erlebe es eher als ein Gefühl von Freiheit, denn von mir wird nicht verlangt, in die Fußstapfen anderer zu treten. Es gibt auch keine vorgefasste Meinung davon, wie ein Stück sein soll. Das hat mich sehr befreit und mir geholfen, meinen eigenen Weg zu finden. Komponist*innen sind für mich eine Art Gesangslehrer*innen: Sie geben mir einen riesigen Bund mit vielen verschiedenen Schlüsseln, und ich muss herausfinden, welche Türen ich damit öffnen kann. Das ist eine Lebensaufgabe.

Barbara Hannigan dirigiert mit geschlossenen Augen
Sie möchte gerne auf Augenhöhe mit den Musiker*innen zusammenarbeiten. Copyright: Tobias Hase
Barbara Hannigan dirigiert die Münchner Philharmoniker. Das Publikum in der Isarphilharmonie applaudiert.
Barbara Hannigan reagiert allergisch auf das Wort Maestro. Copyright: Tobias Hase

Sie sind die einzige Künstlerin, die ich gleichzeitig singend und dirigierend erlebt habe …

Es ist tatsächlich sehr selten, vor allem auch in meinem zeitgenössischen Repertoire. Und es gibt nur gewisse Stücke, bei denen es als singende Dirigentin gut funktioniert. Das hat in erster Linie nichts mit dem Schwierigkeitsgrad zu tun, sondern mehr mit der Botschaft. Als Sängerin erzähle ich eine Geschichte. Macht es Sinn, dass ich in dieser Rolle auch eine Art von Führung übernehme? Ich gehe mit dieser Entscheidung sehr vorsichtig um und habe immer einen dramaturgischen Grund, wenn ich beides mache.

 

Ist das nicht unglaublich anstrengend? Warum tun Sie sich diese Doppelrolle an?
(lacht) Ich wurde oft gefragt, ob es nicht genug ist, zu singen oder zu dirigieren. Aber darum geht es nicht. Für mich war es eher eine innere Angelegenheit, mit dem Dirigieren zu beginnen: Da war etwas in mir, das erforscht werden musste. Ich liebe es zu singen, zu üben und zu lernen – und das Dirigieren hat definitiv meine Beziehung zur Musik vertieft. Als Dirigentin habe ich mehr Verantwortung und Entscheidungsmöglichkeiten, wie ich Stücke interpretiere. Außerdem würde ich das ganze symphonische Repertoire, das ich sehr liebe, als Sängerin buchstäblich nie in die Hände bekommen. Durch die Doppelrolle kann ich noch tiefer in die Musik eindringen.

 

Was machen Sie denn als Erstes, wenn Sie an neue Spielstätten kommen?
Erst einmal richte ich mir in der Garderobe alles ein: Ich hänge meine Kleidung auf, packe die Schuhe aus, die Musik, meine Teetasse und meinen Honig. Ich mag es, den Raum so zu organisieren, als wäre er für die nächsten paar Stunden mein kleines Zuhause. Egal ob ich eine Oper oder ein Konzert gebe, das ist wichtig für mich und hat vielleicht auch damit zu tun, dass ich so viel unterwegs bin, seit ich mit 17 Jahren meine Heimat verlassen habe. Ich brauche meine kleine Ecke, die nur mir gehört, egal wie lange sie existiert. Erst dann gehe ich auf die Bühne – und um ehrlich zu sein, achte ich gar nicht so sehr auf die Akustik.

 

Tatsächlich?
Ja, weil ich sie ja auch nicht grundsätzlich ändern kann. Natürlich schaue ich besonders als Sängerin, ob ich stimmlich auf den Saal reagieren und Nuancen anpassen kann, aber das sind nur kleine Details. Die Backstage-Parameter sind mir wichtiger, damit ich mich in meinem kleinen Kokon wirklich um mich selbst kümmern kann.

Barbara Hannigan sitzt auf einer Fensterbank. Sie ist gleichzeitig ein Regal voller Bücher.
Copyright: Cyrus Allyar Photography

Am 24. und 25. Januar bringen Sie als Dirigentin und Sängerin mit den Münchner Philharmonikern „unsichtbare“ amerikanische Musik in die Isarphilharmonie. Erzählen Sie!
Das Arrangement insgesamt ist eine Weltpremiere. Alle Stücke des ersten Teils wurden in einem Amerika geschrieben, das gerade in den Anfängen seiner Entwicklung stand, insbesondere in künstlerischer Hinsicht. Ruth Crawford Seeger, Wallingford Riegger oder Carl Ruggles sind nicht unbedingt bekannte Namen. Aber sie waren Teil einer Gruppe, die um 1920 in den Fußspuren von Charles Ives einen wahrhaft amerikanischen, dissonanten Sound entwickelt haben, der nicht im Schatten europäischer Musik stand. Im zweiten Teil will ich dann die schöne amerikanische Musik zeigen mit Rodgers’ „The Carousel Waltz“ und
Gershwins’ „Porgy and Bess – A Symphonic Picture“, das Robert Russell Bennett zusammengestellt hat. Melodien und Orchestrierung sind absolut herzzerreißend.

Barbara Hannigan als Lulu auf der Bühne. Ein Schauspieler hält sie fest, sie schwebt in seinen Händen in der Luft.
Gibt alles für die Rolle: Barbara Hannigan als Lulu in der gleichnamigen Oper von Alban Berg Copyright: Hamburger Staatsoper

2026 werden Sie erstmalig eine Vollzeitstelle als Dirigentin beim Iceland Symphony Orchestra annehmen. Haben Sie auch eine Bucket List für 2025?
Ja, ich mache jedes Jahr an Neujahr eine Liste, auf der ich notiere, welche Musik ich singen oder mit welchen Leuten ich arbeiten möchte. Manchmal tauchen Dinge mehrfach auf, weil ich sie noch nicht umsetzen konnte, manchmal streiche ich auch etwas, weil es nicht mehr wichtig ist. Ein Vorsatz für 2025 ist, dass ich mir mehr freie Zeit erlauben und versuchen möchte, einfach auch mal früher zu stoppen. Es war ein guter Schritt für mich, 2021 aufs Land in die Bretagne zu ziehen. Hier nehme ich mir jeden Tag Zeit, in die Natur zu gehen. Mein Leben in ein etwas anderes Gleichgewicht zu bringen, wurde mit den Jahren immer bedeutender für mich. Und das lässt mich sogar noch besser singen und die Musik umso mehr lieben.

Barbara Hannigan mit den Münchner Philharmonikern

Text: