Ein Sommertag Ende Juli: Jugendliche und junge Erwachsene strömen ins Bildungszentrum Einstein 28 in Haidhausen. Ob Abendkleid oder Hemd, zur Zeugnisverleihung sind alle schick und farbenfroh gekleidet. Die Absolventinnen und Absolventen erhalten ihre Zeugnisse über den Erfolgreichen oder den Qualifizierenden Mittelschulabschluss, über die Mittlere Reife an der Mittelschule oder die Mittlere Reife an der Realschule. Rund 300 Teilnehmende besuchen pro Jahr die Lehrgänge zum Nachholen von Schulabschlüssen an der Münchner Volkshochschule. Nach zwölf Monaten Lernen haben sie ihre Prüfungen als Externe an Münchner Schulen abgelegt. Sie blicken auf ein besonderes Schuljahr zurück, in dem der Präsenzunterricht immer wieder pandemiebedingt unterbrochen werden musste. Trotz allem, fast alle haben bestanden.
Schule auf Augenhöhe
1984, als Susanne Eid in einem der ersten Lehrgänge an der MVHS ihren Schulabschluss machte, fanden die Kurse noch in der Landwehrstraße statt. „Bahnhofsviertel“, erinnert sie sich. „Die Räume waren bestimmt nichts Besonderes – aber ich erinnere mich vor allem daran, dass unser Tische in einem Hufeisen standen.“ Das passte zum persönlichen, demokratischen Stil in der Schule der zweiten Chance. Susanne Eid erzählt, dass sie zunächst ein humanistisches Gymnasium besuchte: „Ich hatte einfach keinen Bezug zum Lernen und war sehr unglücklich.“ Sie verließ die Schule ohne Abschluss, arbeitete erst eine Weile – und fand schließlich zur MVHS. „Die Klasse war viel kleiner als am Gymnasium, wir haben die Lehrer geduzt und sie haben uns sehr engagiert unterstützt“, sagt sie. „Bei mir haben sie es geschafft, dass ich einen eigenen Zugang zum Lernen gefunden habe.“
Mit dem, was sie an der MVHS gelernt hat, hat Susanne Eid später noch die Fachhochschulreife erworben und eine Ausbildung zur Restauratorin gemacht. „Es war ein totaler Zufall, dass ich in dieser Ausbildung gelandet bin“, so die ehemalige Teilnehmerin der Abschlussklasse. Mit 28 Jahren machte sie sich mit einer eigenen Werkstatt selbstständig. Heute arbeitet sie oft für Museen und regelmäßig für die Villa Stuck. „Meine Arbeit macht mir viel Spaß und ich bin sehr glücklich mit meinem Beruf.“
Auch in diesem Jahr wissen die wenigsten Absolventinnen und Absolventen schon, was sie einmal arbeiten wollen – aber sie kennen den nächsten Schritt: Eine weiterführende Schule besuchen, eine Ausbildung beginnen oder ein Praktikum antreten. Neben ihren Lehrer*innen haben Sozialpädagog*innen sie auf ihrem Weg unterstützt und gestärkt. Dazu gehören auch zahlreiche Möglichkeiten, sich auszutauschen und mit ausbildenden Betrieben und Arbeitgeber*innen in Kontakt zu kommen: Beim Ausbildungscafé, im interkulturellen Schülertreff oder bei der Ausbildungsplatz-Messe „First Minit“, die im Frühjahr 2023 zum ersten Mal im HP8 stattfinden wird. Die Lehrgänge in den Projekten FlüB&S („Flüchtlinge in Beruf und Schule“) sowie „Starten statt Warten“ richten sich mit zusätzlichen Unterstützungsangeboten an junge Geflüchtete beziehungsweise Migrant*innen.
Ein neues Zuhause für Jugend und Ausbildung
Der neue Standort in Sendling verspricht den Teilnehmenden im Programmbereich Jugend und Ausbildung viele neue, abwechslungsreiche Lernmöglichkeiten durch die Nähe zu Ateliers, Werkstätten, den anderen Gasteig-Kulturinstituten und – nicht zuletzt – zur Isar und zur Natur. Mit dem benachbarten Stadtwerke-Projekt der SWM, das Jugendliche auf dem Weg in den Beruf fördert, gibt es eine neue Kooperation. Und mit Musiker*innen der Münchner Philharmoniker wird es in den Ferien ein Education-Projekt geben, bei dem die Jugendlichen vielleicht verborgene Talente und neue Interessen an sich entdecken werden.
Susanne Eid kann sich nicht an eine eigene Zeugnisfeier erinnern – vermutlich gab es diese Tradition 1984 noch nicht. Aber viele wertvolle Erinnerungen an ihre Zeit mit der Münchner Volkshochschule hat sie trotzdem: „Die Schulabschlüsse, die ich dank der MVHS nachholen konnte, haben mir auf meinem Lebensweg viel gebracht.“
Text: Martin Jost