Musst du als Künstler manchmal aus dem Rahmen fallen?
Darüber denke ich nicht viel nach. Mir ist es wichtiger, Leuten zu zeigen, wie außergewöhnlich und berührend ganz alltägliche Sachen sein können. Man kann sie in die unglaublichsten Dinge verwandeln. Während wir hier sprechen, wächst die Pflanze hinter dir – in einem gewöhnlichen Setting passiert so viel Außergewöhnliches. Dasselbe gilt für die Musik: Sie erhebt den Augenblick. Sich das bewusst zu machen beeinflusst, wie wir leben und uns selbst wahrnehmen. Das Besondere existiert in uns allen, wir müssen einfach Wege finden, es hervorzuholen.
Wie gelingt dir das?
Quincy Jones hat mal gesagt: „Dont try to be cool, be warm!” Als junge Musiker*innen versuchen wir, unsere Persönlichkeit zu zeigen. Wir wollen gesehen und gehört werden. Auch ich habe versucht, cool zu sein, aber das funktioniert nicht. Spätestens jetzt, als Vater einer kleinen Tochter, spüre ich: Coolsein wird überschätzt. Um mit Leuten in Verbindung zu treten, müssen wir ganz warm sein. Wärme ist alles! Natürlich zählen auch deine Fähigkeiten, aber wichtiger, als von Leuten bewundert zu werden, ist, ihnen zu erlauben, dir nahezukommen und sie an deinen Ideen teilhaben zu lassen.
Musik schafft Verbindung
Was bedeutet das für deine Musik?
Dass du ein Konzert im Kollektiv erlebst und nicht allein. Du musst die Verbindung finden zwischen dem Sound, den du hörst, und den Dingen, die in deinem Leben geschehen. Oft sind Leute sehr allein. Ich
möchte, dass Menschen meine Konzerte gemeinsam genießen, zusammen mit Leuten, die sie nicht kennen – es ist fantastisch, Teil eines Kollektivs zu sein. Durch das gemeinsame Erleben von Musik werden wir zu Weggefährt*innen.

Als Kind hast du auf einem Besenstiel Cello geübt, jetzt spielst du in renommierten Konzertsälen …
Auf dem Besenstiel zu üben war praktisch, und für ein richtiges Instrument fehlte das Geld. Aber noch wichtiger war die Fantasie, die Vorstellung von dem, was sein könnte. Es ist fantastisch, auf großen Bühnen zu spielen, aber im Grunde genommen ist es auch dasselbe wie zu Hause zu spielen. Alles findet in meiner Fantasie statt, nicht im Außen.
Die Power der Community
2023 wurdest du mit dem Opus Klassik in der Kategorie „Klassik ohne Grenzen“ ausgezeichnet. Welche Grenzen möchtest du mit der Musik überwinden?
Ich denke, wir sollten die klassische Musik öffnen. Diese Musik stärker mit anderen Kulturen zu verbinden, hält sie lebendig. Ich möchte, dass meine Musik Leute zusammenbringt und Kulturgrenzen dabei keine Rolle spielen. Menschen brauchen Rhythmus zum Tanzen und Denken. Mehr Rhythmus in die Welt zu bringen – das ist für mich die Zukunft.
Du setzt dich auch gegen Rassismus im Musiksektor ein. Was kann man tun?
Als Schwarzer Musiker, der in Europa arbeitet, habe ich leider auch Rassismus erlebt. Die Community sollte das Individuum schützen und rassistisches Verhalten anprangern. Es wäre schön, wenn alle viel neugieriger aufeinander zugehen würden. In meiner Musik geht es genau darum, die Kulturen anderer zu verstehen. Egal welche Geschichte wir haben: Wir können Musik nutzen, zum Zuhören ermutigen und damit unser Leben und das anderer Menschen verbessern. Alle sollten das Recht haben, Musik zu genießen.
Am 26. Februar präsentierst du mit dem Aurora Orchestra in der Isarphilharmonie deine Komposition „Four Spirits“, eine musikalische Hommage an deine Heimat. Erzähl!
Four Spirits feiert die afrikanische Kultur und handelt davon, wie eine Gemeinschaft entsteht. Der erste Satz ist einem traditionellen Heiler aus Südafrika gewidmet, der darüber spricht, wie man Traditionen und Neues mischen kann und respektiert, dass alles in unserem Leben aus einer längst vergangenen Zeit stammt. Der zweite Satz beschäftigt sich mit der Neugier von Kindern, während es im dritten Satz um Bewegung, Tanz und Kirche geht. Am Ende dreht sich alles um die Community: Wir sind eins! Alle auf der Bühne nutzen in irgendeiner Weise ihre Stimme, auch das Orchester singt. Wir hoffen, dass das Publikum mit uns mitsingt.
Abel Selaocoe in der Isarphilharmonie
Das gemeinsame Singen spielt in deinem Leben schon immer eine wichtige Rolle …
Ja, denn in der südafrikanischen Kultur ist die Stimme eine große Sache, jede*r singt überall. Dabei geht es nicht darum, schön zu singen, sondern darum, etwas auszudrücken. Ich denke, das Singen ist ein guter Weg, mit anderen in Verbindung zu kommen und schon als Kind Selbstvertrauen aufzubauen. Singen ist etwas für alle und hat eine symbolische Bedeutung: Du lebst dein Leben, singst deine eigene Stimme, aber zusammen mit anderen!
Das Zuhause deiner eigenen Familie ist Manchester. Wie sehr fällst du aus dem Rahmen, wenn du jetzt an deinen Geburtsort Sebokeng in Südafrika zurückkehrst?
Das ist der Platz, wo ich hingehe, um ich selbst zu sein. Meine Musik basiert auf den Menschen, dem Tanz und der Poesie dort. Aus Südafrika ziehe ich meine Energie und Inspiration. Es fühlt sich so gut an, von Leuten umgeben zu sein, die sich so bewegen wie ich. Es fühlt sich an wie zu Hause, einfach wunderbar gewöhnlich.
Text: Maria Zimmerer