Für viele Musiker*innen ist es keine richtige Musik, die Ulrike Tusch und Ulrike Wanetschek machen, weil sie nicht perfekt und nach Noten gespielt wird. „Da fallen wir schon aus dem Rahmen, weil das, was wir erzeugen, vielleicht erst mal nicht schön für unsere Ohren klingt. Es ist in dem Moment aber authentische Musik“, sagt die Musiktherapeutin Tusch. Gemeinsam mit ihrer Kollegin leitet sie den inklusiven Workshop bei den Kindermusiktagen im Gasteig. Dass gemeinsames Musizieren so viel mehr bedeutet, findet auch die studierte Opernsängerin und Chorleiterin Wanetschek: „Wir haben Spaß, erfahren Beziehung, Emotion und Klänge, ohne zu bewerten. Genau das ist für mich Musik.“
Spaß ist auch das Wichtigste, wenn sich rund 40 Kinder aus Regel- und Förderschulklassen treffen, um gemeinsam zu musizieren. Die beiden Therapeutinnen wollen eine Stunde für die Kinder anbieten, in der gar nicht wichtig ist, wer eigentlich das Inklusionskind ist. Die beiden zertifizierten Musiktherapeutinnen freuen sich auf ein Überraschungspaket voller Herausforderungen: Sie finden es immer spannend zu sehen, wie jedes einzelne Kind sich auf ihr Angebot einlässt, und auch, wie teilnehmende Kinder aufeinander reagieren. Tusch und Wanetschek sind für alle Fälle gerüstet, haben unterschiedliche Instrumente dabei und arbeiten viel mit der Stimme und spielerischen Elementen.
„Wir möchten einen Raum öffnen, in dem wir in Kontakt miteinander treten und erfahren, wie es ist, mit jemandem zu musizieren, der nicht so ist wie ich.“

Der gesamte Körper und alle Sinne werden miteinbezogen – jede*r kann nach seinen Möglichkeiten laut und leise tönen, spüren, sich zur Musik bewegen und mit ihr entspannen. „Wir möchten gemeinsam erleben, was Musik kann – nämlich uns in unterschiedliche Stimmungen versetzen“, sagt Wanetschek. Tusch arbeitet in einem Förderzentrum für körper- und mehrfachbehinderte Menschen in der Nähe von Augsburg, wo sie Einzel- und Gruppentherapien gibt. Sie betreut aber auch Angebote der offenen Behindertenarbeit, bei denen sie mit Familien und Geschwisterkindern arbeitet. Musik hält sie für ein besonders gut geeignetes Medium zur Inklusion, weil sie keine Worte braucht.
„Über die Musik können wir ganz viel transportieren: Wünsche, Emotionen oder Bedürfnisse werden hörbar und können auf den Körper übertragen und erlebt werden.“
Auch Wanetschek betont, was für ein erhebendes Gefühl es sei, Teil eines Ganzen zu sein. Gerade über die Stimme könne man in Interaktion miteinander treten. Kinder können meistens in irgendeiner Form tönen, auch wenn sie nicht in einem musikalisch vorgegebenen Rhythmus sprechen oder singen, erzählt Wanetschek. Sie singt in einer sozialpädagogischen Tagesstätte mit seelisch behinderten Kindern, aber auch mit Demenzkranken oder auf der Palliativstation: „Wenn ein Kind beispielsweise auffällige Geräusche von sich gibt, weil es unter Spannung steht, greifen wir das gerne auf. Das Kind leiht uns seine Stimme und ein vermeintlicher Störfaktor bekommt einen schönen Sinn.“
Bei ihrer Arbeit stehe immer das gesamtheitliche, sinnliche Erleben im Vordergrund, so die Therapeutin: „Es geht uns weniger ums Produzieren, sondern darum, hinzuspüren und hinzuhören, wer ist mein Gegenüber, und wie ist es heute drauf?“ Die Herausforderung bei einem inklusiven Kurs ist die große Bandbreite der unterschiedlichen Fähigkeiten der Kinder. Um in einer Gruppe alle mitzunehmen, sei es oft hilfreich, Inhalte zu reduzieren und auf die Körpersprache der Teilnehmenden zu achten. Wenn am Ende alle das Gefühl teilen, in Gemeinschaft etwas erlebt zu haben, sei ihre Arbeit geglückt: „Einen gemeinsamen Rhythmus zu finden ist vielleicht genauso schön oder wertvoll, wie ein Lied zusammen zu singen.“


„Wir wollen raus aus dem Defizit-Denken und lieber positiv nachspüren, was geht und was wir alle können.“
Ein großer Teil ihrer Arbeit als Musiktherapeutinnen ist gemeinsames Improvisieren und Aufklären. Insgesamt gäbe es viel zu wenige Angebote für behinderte Menschen an den Musikschulen. „Mein Wunsch wäre es, dass inklusive Angebote zur Regel werden“, sagt Tusch. Leider sei die Gesellschaft noch nicht gut aufgestellt, was Inklusion angeht. Und auch im Kulturbetrieb müsse sich dahingehend einiges tun: „Besucher*innen eines Konzerts müssten beispielsweise lernen, dass manche kein ganzes Konzert durchhalten oder vermeintlich störende Geräusche von sich geben“, so Wanetschek.
Die Reaktionen der behinderten Kinder auf ihre Arbeit sei für sie die größte Motivation, sagt Tusch: „Ich bekomme so viel zurück. Ein Lächeln zählt so viel. Es berührt mich, wenn ich sehe, dass ein Kind mal zehn Minuten nicht mit den Problemen des eigenen Körpers beschäftigt ist, sondern sich voll und ganz auf die Musik einlassen kann.“ Und Wanetschek ergänzt: „Es ist großartig, dass ich mit einem Medium, das mir selbst so viel Spaß macht, so viel erreichen kann!“
Inklusiver Musikworkshop bei „Der Gasteig brummt!“
Text: Anna Steinbauer