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Melodien basieren auf Erinnerungen: Alpenrocker Hubert von Goisern im Interview

Der österreichische Musiker hat komponiert, Bücher geschrieben, Mode designt, in Afrika, Kanada und auf den Philippinen gelebt und mit Songs wie „Brenna tuats guat“ immer wieder die Charts gestürmt. Zusammen mit der Lungau Big Band trat er am 19. November 2024 in der Isarphilharmonie auf. Im Interview verrrät Hubert von Goisern, warum für ihn Musik und Erinnern eng zusammengehören.

Ein Mann singt mit geschlossenen Augen in ein Mikro und spielt Akkordeon.
Schon als Kind träumte Hubert von Goisern davon, Dirigent zu werden. Copyright: Sarah Marchant

Hubert von Goisern, Sie treten mit der Lungau Big Band auf und haben dafür die eigenen Songs neu arrangiert. Sie sprechen von einem Abenteuer, warum?

Ich stand dem Angebot zur Zusammenarbeit tatsächlich lange ablehnend gegenüber, aber irgendwann habe ich begonnen, mich intensiv im Kopf damit zu beschäftigen, wie ein Zusammenspiel klingen könnte und wer das arrangieren kann. In diesem Fall waren es Menschen, die mich und meine Musik schon lange kennen und begleiten: Burkhard Frauenlob und Alex Trebo. Trotzdem war es ein Abenteuer. Aber was dabei herausgekommen ist, hat meiner Skepsis den Boden entzogen: Jedes einzelne Stück ist eine spannende Überraschung – auch für mich.

 

Haben Sie nicht immer schon altbewährte Elemente in der Musik aufgegriffen und mit neuen Impulsen verknüpft?

Vereinfacht gesagt ja, aber es steckt mehr dahinter. Auch als kreativer Mensch braucht man Quellen, man saugt sich die Ideen ja nicht aus der Luft. Egal ob Musiker, Poet, bildender Künstler oder Architekt, wir knüpfen alle an etwas an, das Menschen vor uns erreicht, erfunden oder erdacht haben. Es hat keinen Sinn, den tiefen Teller immer wieder neu zu erfinden – den gibt es schon. Und selbst wenn wir vieles bewusst anders machen, beziehen wir uns doch auf etwas, was es schon gibt oder einmal gab. Sogar Atheisten brauchen einen Gott, um sich von ihm abgrenzen zu können. So ist das auch manchmal in der Musik. Aber ich verknüpfe nicht einfach dieses Element mit jenem Rhythmus und schaue, wie sich das anhört, wenn ich meine Stimme drüberlege.

Ein Mann singt mit geschlossenen Augen ins Mikro und hebt seine Hände in die Höhe
Erinnerung ist für den Musiker eine wertvolle Quelle, um Neues zu schaffen. Copyright: Oskar C. Neubauer

Sondern?

Beim Komponieren passieren die Dinge einfach, indem ich in mich hineinhorche, mir selbst zuhöre. Ich beobachte und experimentiere, mit dem, was daherkommt, ob ich es in Einklang, in Harmonie oder auch in Spannung bringen kann. Erst im Nachhinein denke ich manchmal, dass mich das ein oder andere an etwas erinnert. Denn im Prinzip sind es eben Erinnerungen an ganz verschiedene Quellen, die da verknüpft werden.

 

Musik und Erinnerungen gehören also ursächlich zusammen?

Auf jeden Fall. Das Musikempfinden selbst ist eine einzige Erinnerung: Wir könnten keine Melodie wahrnehmen, wenn wir uns nicht erinnern würden an die Töne, die davor waren. Das ist etwas sehr Geheimnisvolles: Eigentlich hören wir im Moment nur einen Ton oder einen Akkord. Im Kopf setzt sich das dann mit den Tönen, die davor gehört wurden, zusammen zu einer Melodie.

 

Ein Mann mit Akkordeon und ein Mann mit Gitarre auf der Bühne beim Spielen.
Copyright: Sarah Marchant
Hubert von Goisern singt ausdrucksstark ins Mikrofon und trägt eine Gitarre.
Copyright: Sarah Marchant

Heißt das, dass man sich ohne musikalische Erinnerungen beim Musikhören schwertut?

Tatsächlich gibt es Menschen, die mit Musik nichts anfangen können, deren Sinne, was Musik angeht, weniger ausgeprägt sind. Wir müssen alles lernen, auch die Musik. Und wir müssen lernen zuzuhören. In Europa bekommen wir die europäische musikalische Geschichte schon mit der Muttermilch. Wir werden bereits als Kinder der Art und Weise, wie wir Harmonien hören, ausgesetzt. In anderen Teilen der Welt wächst man mit anderer Musik auf und hört diese auch ganz anders. Deshalb ist das, was für uns vertraut ist, für andere komplett fremd. Ich war mit tibetischen Opernkünstler*innen bei den Salzburger Festspielen in der „Entführung aus dem Serail“ und ich kann mich erinnern, dass sie das nur sehr bedingt beeindruckt hat. (lacht) Sie hatten keine Erinnerungen an solche Musik, konnten auf nichts zurückgreifen, wo sie es hätten einordnen können. Da kam unsere Musik in Form von Mozart plötzlich als Puzzlestein des Lebens daher, das sich für die Leute aus Tibet in kein bekanntes Bild einfügen ließ.

 

Sie sammeln ein Leben lang immer wieder neue „Puzzlesteine“. Was treibt Sie an?

Ich bin neugierig und stelle mich gerne neuen Impulsen, auch wenn ich die erst mal als anstrengend empfinde. Da muss man gar nicht am anderen Ende der Welt anfangen: Arnold Schönbergs Musik zum Beispiel, die finde ich spannend, sie bringt mich zum Staunen. Aber ich halte sie nur eine gewisse Dauer aus, dann bin ich erschöpft. Manchmal ist mir diese Art der modernen klassischen Musik zu kopfig, es geht nicht so zu Herzen wie eine Melodie. Die Melodie ist aus dieser Art von Musik regelrecht verbannt worden. Aber Melodien basieren eben auf Erinnerung – und deshalb ist diese neue Musik manchmal für mich, als würde man versuchen, die Erinnerung auszulöschen. Trotzdem finde ich es notwendig, mich diesen Dingen auszusetzen, denn ich lerne immer auch etwas dabei, ich denke darüber nach, versuche es zu durchdringen. Das gelingt aber nicht immer. (lacht)

Ein älterer Mann im pinken Hemd stützt die Arme in die Hüften und schaut links aus dem Bild. Er steht in einer Höhle.
Kreativ sein bedeutet, Fehler zuzulassen, findet Hubert von Goisern. Copyright: Konrad Fersterer

Manchmal sind zu viele Erinnerungen ja auch gar nicht gut …

Das stimmt – es kann auch sehr wichtig sein, zu vergessen. Wenn man älter wird, hat man so viel, woran man sich erinnern kann. Aber wer sich dauernd mit der Vergangenheit beschäftigt, kann nicht mehr in der Gegenwart leben. Und schon gar nicht eine Vision für die Zukunft zulassen. Dann erschlägt dich die Vergangenheit. Deshalb versuche ich so gut, wie es geht, im Hier und Jetzt zu leben. Wenn es schön ist, ist es schön. Wenn es nicht schön ist, dann kann man etwas ändern.

 

Sie ändern gerade wieder etwas in Ihrem Leben: Nach der Tour mit der Lungau Big Band verabschieden Sie sich vorerst von der Bühne. Warum?
Ich möchte eine Standortbestimmung machen – das geht nicht, wenn ich in der Öffentlichkeit stehe. Man läuft im Rampenlicht bei aller Vorsicht und Disziplin immer Gefahr, das Bühnen-Ich als das wahre Ich zu sehen. Selbst jetzt im Interview rede ich nicht als Privatperson – ich überlege bei allem, wie das, was ich sage, verstanden wird. Das setzt der Kreativität Grenzen. Kreativ sein bedeutet, Fehler zuzulassen. Musen, die „Töchter der Erinnerung“, wie sie auch genannt werden, sind scheu. Um ihnen zubegegnen, braucht es eine intime Situation.

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